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Warum flüssige Skillkenntnisse auch in Zeiten der KI-Unterstützung wichtig sind

Wenn Sie für eine Woche nach Mallorca reisen und kein Spanisch sprechen, hilft Ihnen eine Übersetzungs-App weiter. Aber was ist, wenn Sie nach Mallorca auswandern? Dann wollen Sie wahrscheinlich fließend Spanisch sprechen können und sich nicht ständig auf eine App verlassen müssen.

Wie eine Übersetzungs-App im Urlaub helfen KI-Tools Ihnen jederzeit bei der Arbeit. Sie können Fragen beantworten, Vorschläge machen und Ihnen sogar einen Teil Ihrer Aufgaben abnehmen.  

Da Sie sich bei der Arbeit „just in time“ helfen lassen können, denken Sie vielleicht, dass Sie nicht im Voraus lernen müssen, wie bestimmte Aufgaben ausgeführt werden. Oder dass es die Mühe nicht wert ist, sich „auf gut Glück“ neue Skills anzueignen, die Sie vielleicht eines Tages im Arbeitsalltag brauchen könnten.

Mit Sicherheit werden KI-Funktionen Ihre Arbeitsweise verändern. Dennoch glaube ich, dass inmitten all dieser Veränderungen eine einfache und bewährte Tatsache des Arbeitslebens bestehen bleiben wird: Mitarbeitende müssen ihre Skills und ihr Fachwissen auch ohne die Hilfe von Technologie nutzen können. Ich nenne das „Skills Fluency“ – flüssige Skillkenntnisse.

KI-Assistenten werden immer intelligenter.

OpenAI, Microsoft und Apple haben angekündigt, dass KI-Assistenten bald in der Lage sein werden, Kontext zu verstehen. Mit anderen Worten: Sie werden in der Lage sein, zu „sehen“, was wir auf unseren digitalen Geräten und in verschiedenen Anwendungen tun. Sie werden uns also bei digitalen Arbeiten noch besser unterstützen können. 

Kennen Sie schon die Video-Demo von OpenAI? Wenn nicht, sollten Sie sie sich unten ansehen. Dieses Video zeigt, wie Sie mit GPT-4o interagieren können, wenn es Ihren Bildschirm sieht.

Schauen Sie sich auch dieses Video von Google an. Es zeigt, wie KI uns bei der Orientierung in physischen Räumen mithilfe unserer Kameras unterstützen kann.

KI ist die Übersetzungs-App, Ihre Skills sind Ihre eigenen Sprachkenntnisse

KI-Demos (wie die oben gezeigten Videos) können uns mitunter die Sprache verschlagen. Welche Skills müssen wir überhaupt noch lernen? Als OpenAI im Mai seine Live-Übersetzungsfunktionen vorstellte, fiel der Aktienkurs der kostenlosen Sprachlern-App Duolingo um 3,5 %. Der Markt rang mit der Frage: „Müssen wir noch Sprachen lernen, wenn wir überall Echtzeit-Übersetzungen nutzen können?“

Der Aktienkurs hat sich seitdem wieder erholt, was vielleicht auch auf der Einsicht beruht, dass eine Übersetzung zwar zweifellos nützlich ist, aber niemals die tatsächliche Beherrschung der Sprache ersetzen kann. Sie brauchen fließende Sprachkenntnisse – und das nicht nur für den Umzug nach Mallorca.

Sie müssen im Alltag fließend sprechen können, wo auch immer Sie sind. Wir sagen pro Tag etwa 16.000 Wörter. Die wichtigste und grundlegendste Form der Kommunikation können wir nicht einfach auslagern. Bei Interaktionen und Beziehungen, bei denen es auf Schnelligkeit, Zusammenarbeit und Intimität ankommt, sollten Sie sich gewandt und flüssig ausdrücken können.

Flüssige Skillkenntnisse am Arbeitsplatz

Auch bei der Arbeit brauchen Sie flüssige Skillkenntnisse. Fragen Sie sich: „Bin ich täglich hier oder mache ich nur einen Kurzurlaub?“

Sicherlich gibt es für jeden Ansatz praktische Anwendungsfälle. Für Aufgaben, die Sie nur selten ausführen (die Kurzurlaube), müssen Sie vor allem Informationen nachschlagen können. Ich kann mich zum Beispiel nie daran erinnern, wie man in Excel eine SVERWEIS-Formel schreibt. Das muss ich jedes Mal wieder recherchieren – mit KI überhaupt kein Problem 

Aber für die Hauptaufgaben meiner Arbeit gibt es Tools und Prozesse, die ich quasi ständig einsetze. Da möchte ich keine Zeit mit langem Suchen verschwenden. Ich möchte Skills flüssig beherrschen.

Diese Analogie zwischen flüssigem Sprachgebrauch (tägliche Verwendung) und Übersetzung (seltene Verwendung) verdeutlicht eine wichtige Dynamik der KI-Nutzung. Aber es gibt noch weitere Aspekte zu beachten. KI kann Sie bei neuen oder seltenen Aufgaben unterstützen und sogar repetitive, alltägliche Aufgaben übernehmen. Sie kann Ihnen helfen, einen Einstieg zu finden, Hindernisse zu überwinden oder neue Sichtweisen einzunehmen.

Und doch bleibt eine unverrückbare Tatsache bestehen: Unabhängig davon, wie KI Sie unterstützt – Ihre eigenen Fähigkeiten sind die entscheidende Komponente im Kern des Prozesses. Je größer und stärker Ihr Kern ist, desto besser können Sie KI einsetzen und desto bessere Ergebnisse werden Sie auch erzielen.

5 Gründe für die Entwicklung von Skills in Ihren Kernkompetenzen

1. Geschwindigkeit und assoziatives Denken 

Verinnerlichtes Wissen hilft Ihnen, schnell zu denken, Ideen leicht zu verbinden und Muster zu erkennen, ohne ständig nach Informationen suchen zu müssen. Um die Bedeutung der Geschwindigkeit bei unserer Arbeit hervorzuheben, verwenden Informatiker:innen die Analogie einer Flöte. Stellen Sie sich vor, Sie würden versuchen, Flöte zu spielen. Aber zwischen dem Anblasen eines Tons und seinem Erklingen würde eine Sekunde Zeit vergehen. Die Verzögerung würde Ihnen das Üben oder Spielen erschweren, nicht wahr?

Sie können am besten denken und Probleme lösen, wenn Sie in der Lage sind, Ihr Wissen ohne Ablenkung abzurufen. Studien über das Arbeitsgedächtnis haben gezeigt, dass Fachwissen aus komplexen kognitiven Blöcken besteht, die das logische Denkvermögen fördern. Diese Blöcke sind wie mentale Bausteine und verbessern Ihre Fähigkeit, ein tieferes Verständnis und mehr Kreativität freizusetzen.

2. Das Automatisierungsparadoxon 

Unter dem Automatisierungsparadoxon versteht man Folgendes: Wenn Maschinen eingesetzt werden, um bestimmte Arbeiten zu verrichten, müssen diese Maschinen auch installiert, gewartet und verwaltet werden. Dadurch entstehen neue Arten von Arbeit. Wenn Sie Routinearbeiten ersetzen, erhöhen Sie damit Ihre Abhängigkeit von dem Fachwissen, das für die Wartung eines komplizierten Systems und den Umgang mit Ausnahmen erforderlich ist.

Wir haben diesen Trend schon bei Flugzeugen gesehen. Haben Sie in letzter Zeit einmal ein Cockpit von innen gesehen? Das sind komplizierte Systeme.

Wie Kapitän Chelsey Sullenberg (der das Flugzeug heldenhaft auf dem Hudson River landete) sagte: „Es erfordert viel mehr Training und Erfahrung, hochautomatisierte Flugzeuge zu fliegen – nicht weniger.“ Bei KI müssen alle das nötige Fachwissen haben, um die Systeme im Auge zu behalten und zu verwalten.

3. Das unzuverlässige GPS 

Fast überall nutze ich GPS für die Navigation. Ich bin kaum in der Lage, mich ohne Hilfe zurechtzufinden, insbesondere in einer neuen Stadt oder einem fremden Land. Nach dem Einkaufen fahre ich erst vom Parkplatz, wenn mein Navi bereit ist.

Studien haben ergeben, dass Londoner Taxifahrer:innen, die dazu verpflichtet sind, sich das komplexe und verwinkelte Straßengeflecht der Stadt einzuprägen, einen größeren Hippocampus haben als wir Normalsterbliche. Aber die meisten von uns fahren nicht beruflich Auto. Sich auf das Navi zu verlassen, ist also ein rationaler Kompromiss zwischen Bequemlichkeit und Navigationstalent.

Die eigentliche Herausforderung liegt in der Tatsache, dass die KI ein unzuverlässiges Navi ist. Stellen Sie sich vor, Ihr Navi würde Sie in 10 % der Fälle zu zufälligen Koordinaten führen. Schlimmer noch: Was wäre, wenn Sie nicht wüssten, dass Sie vom Kurs abgekommen sind, bis es zu spät ist?

Das Problem mit Irrtümern ist, dass man das Gefühl hat, man hätte recht – bis es zu spät ist. Die Auslagerung von Fachwissen an KI ist ein unberechenbarer Kompromiss, denn es ist schwierig, das Auftreten und die Kosten von Fehlern vorherzusehen.

4. Der letzte wirkliche Wettbewerbsvorteil 

Wenn KI-Tools praktisch überall im Einsatz sind, können wir uns nur durch Dinge von der Masse abheben, die nichts mit KI zu tun haben. Wir sind es gewohnt, uns auf traditionelle Vorteile wie Berufserfahrung oder einen Hochschulabschluss zu verlassen. Dies hat uns in der Vergangenheit geholfen, unsere Positionen am Arbeitsplatz zu halten.

Die KI ist nun der große Gleichmacher. Wenn Sie sich für den Großteil Ihrer Arbeit auf KI verlassen, sind Sie leicht durch andere ersetzbar, die Zugang zu denselben KI-Tools haben. Deshalb ist jetzt die Fähigkeit, ständig dazuzulernen, der neue Weg, um sich von der Konkurrenz abzuheben und seinen persönlichen Wettbewerbsvorteil zu wahren.

5. Werte und Handwerkskunst

Nicht alles sollte sich um kurzfristige Wirtschaftlichkeit drehen. Wenn ich etwas lerne und meine Sache (zumindest hin und wieder) gut mache, bereitet mir das viel Freude und Zufriedenheit. Da die Technologie mehr und mehr in unser tägliches Leben eindringt, könnten wir auf eine Sinnkrise zusteuern (falls sie nicht schon da ist). 

Die Gestaltung von sinnstiftender Arbeit, die Freude bereitet, bringt vielleicht keinen kurzfristigen ROI-Schub, aber ich glaube, dass dies langfristig von Bedeutung sein wird. Die KI macht es einfacher denn je, mittelmäßige Arbeit und Produkte zu schaffen. Aber ich vermute, dass sich die Menschen zu Unternehmen hingezogen fühlen werden, die Wert auf Handwerkskunst legen.

Hören Sie nicht auf, in Fachwissen zu investieren.

Wir können davon ausgehen, dass neue KI-Funktionen die Trends im Bereich Fort- und Weiterbildung auch in Zukunft prägen und die On-Demand-Leistungsunterstützung vorantreiben werden. Zweifelsohne werden diese Technologien enorme Produktivitätssteigerungen mit sich bringen.

Wir dürfen jedoch die Notwendigkeit von flüssigen Skillkenntnissen und die Art und Weise, mit der wir uns diese aneignen, nicht abschreiben. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Unternehmen und Führungskräfte die Notwendigkeit außer Acht lassen, weiterhin in grundlegende Skills und Kompetenzen zu investieren. Gehen Sie niemals davon aus, dass unerfahrene Mitarbeitende, die KI nutzen, genauso gut sind wie Ihre internen Expertinnen und Experten.

Ich glaube, dass die Zukunft Menschen und Unternehmen belohnen wird, die ihr Fachwissen weiter ausbauen und nicht nur die KI-Abkürzung nehmen. Wenn etwas wirklich wichtig ist, sollten Sie diese Skills selbst kompetent beherrschen.

(Und falls Sie Duolingo gerade täglich nutzen – bleiben Sie unbedingt am Ball!)