•   Article   •   7 mins

Zwei Lernmythen für Upskilling und Reskilling – was ist wirklich dran?

Ihre Freundin bucht eine Reise zum Mount Everest. Ein Reiseunternehmen holt die begeisterte Bergsteigerin am Flughafen in Nepal ab, überreicht ihr eine Karte und sagt: „Viel Glück!“ Ihre Freundin wird wahrscheinlich kein Selfie vom Hillary Step posten.

Dieses Szenario mag unsinnig klingen, aber genau so gehen viele Führungskräfte mit Mitarbeitenden um, wenn es um Upskiling und Reskilling geht: Sie verweisen auf eine Bibliothek mit Lerninhalten und das war’s.

Die gute Nachricht: Viele Unternehmen nehmen Upskilling und Reskilling auch wirklich ernst. Ihre Führungskräfte wissen, wie wichtig die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden ist, um den rasanten digitalen Wandel zu bewältigen und die wachsende Talentkrise zu überwinden.

Upskilling- und Reskilling-Programme sind voll im Trend: 72 Prozent der Unternehmen bieten Reskilling-Programme an. Aber das ist noch nicht genug. Die Skilldefizite werden immer größer und größer.

„Unsere Lern- und Arbeitssysteme waren nicht darauf ausgerichtet, eine große Zahl von Mitarbeitenden für gefragte Arbeitsplätze zu qualifizieren und entsprechende Skills aufzubauen“, so die Forscherin Michelle R. Weise, Gründerin des Strata Institute für The Future of Work und Autorin von Long Life Learning: Preparing for Jobs That Don’t Even Exist Yet.

Wie können Unternehmen also Upskilling- und Reskilling-Bemühungen wirksam unterstützen? Wie die Besteigung des Mount Everest – oder das Erreichen jedes anderen hochgesteckten Ziels – erfordern auch Upskilling und Reskilling Zeit und fachkundige Anleitung.

Mitarbeitende wollen lernen, haben aber keine Zeit dafür.

Das IT-Team hat für Donnerstag einen 90-minütigen Online-Kurs über Datenanalyse angesetzt. Er ist in ihrem Kalender eingetragen, damit ihr Chef, der dem Kurs zugestimmt hat, Bescheid weiß. Doch am Tag des Kurses setzt der Chef eine andere Besprechung an und sagt, diese habe Vorrang.

Es ist immer das Gleiche.

Viele Unternehmen ermutigen Ihre Mitarbeitenden dazu, sich weiterzubilden, doch räumen ihnen nicht die Zeit ein, die sie zum Erlernen neuer Skills benötigen. Eine Umfrage nach der anderen bestätigt, dass Mitarbeitende am Arbeitsplatz lernen wollen, aber einfach keine Zeit haben. Eine Umfrage von LinkedIn Learning ergab beispielsweise, dass Zeitmangel der häufigste Grund dafür ist, dass Mitarbeitende sich nicht weiterbilden und -entwickeln.

Wer ist dafür verantwortlich, Zeit für das Lernen zu schaffen? Viele Unternehmen legen die Verantwortung zum Up- und Reskilling in die Hände der Mitarbeitenden. Aber nur eine kleine, ausgewählte Gruppe kann sich das leisten.


Wenn Ihr Unternehmen behauptet, dass Mitarbeitende selbst dafür verantwortlich sind, Zeit für das Upskilling zu finden, wirkt sich das wahrscheinlich negativ auf folgende Gruppen aus:

  • Primäre Betreuungspersonen
  • Eltern oder Erziehungsberechtigte
  • Menschen mit Zweitjobs

Der Zeitmangel der Menschen und der Druck, Geld verdienen zu müssen, sind die grundlegenden Faktoren, die dazu führen, dass so viele bestehende Lernprogramme, wie z. B. die Rückerstattung der Unterrichtsgebühren, ungerecht bleiben. Es ist daher nicht überraschend, dass eine kürzlich durchgeführte Randstad-Umfrage ergab, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen bei Upskilling- und Reskilling-Maßnahmen häufig bevorzugt werden.

Das Ignorieren der Ungerechtigkeiten herkömmlicher Lernprogramme schaden den Unternehmen und ihren Mitarbeitenden – gerade in Zeiten der unaufhaltsamen digitalen Transformation. Die heutigen Veränderungen sind so tiefgreifend und umfassend, dass sie eine neue Ära einleiten, die als vierte industrielle Revolution oder Industrie 4.0 bezeichnet wird. Schon bald werden Unternehmen Skills benötigen, die es noch gar nicht gibt. Und das in großen Mengen.

Fast alle Mitarbeitenden müssen sich in der neuen Arbeitswelt von heute weiterbilden. Das Skilldefizit beschränkt sich nicht nur auf technische Berufe. Es gilt für Geschäftsführer:innen, CEOs, HR-Mitarbeitende und Datenwissenschaftler:innen gleichermaßen. Unternehmen werden teuer dafür bezahlen, wenn nur die Mitarbeitenden, die Zeit und Geld übrig haben, sich weiterbilden und neue Skills erwerben.

Unternehmen müssen ihren Mitarbeitenden Zeit zum Erlernen neuer Skills einräumen.

Mitarbeitende müssen Zeit zum Lernen haben – anders geht es nicht. Weise kennt das Problem und weiß, wie wir es lösen können. Sie weist darauf hin, dass „Zeit das größte Hindernis darstellt“ und dass „keine Initiative zur Skillentwicklung funktionieren wird, wenn wir diesen begrenzenden Faktor der Zeit nicht lösen“.

Den Mitarbeitenden Zeit zum Lernen einzuräumen, ist für die Entwicklung von Skills besonders wichtig, denn das Erlernen eines Skills funktioniert anders als der Erwerb von Wissen. Es ist der feine aber wichtige Unterschied zwischen dem Wissen, wie man den Mount Everest besteigt, und der Fähigkeit, es tatsächlich zu tun. Wenn zum Beispiel Ihre Freundin, die nach Nepal reist, zur Vorbereitung nur Hunderte von Klettervideos vom Sofa aus angeschaut hat, wird sie den Skill, den Gipfel zu besteigen, nicht erlangen. Das Entwickeln von Skills, insbesondere von spezialisierten oder komplexen Skills, erfordert mehr Lernzeit als jede andere Art des Lernens.

So ist die Besteigung eines Berggipfels vergleichbar mit einer Upskilling- bzw. Reskillingreise. Einigen Schätzungen zufolge dauert es durchschnittlich 480 Stunden, einen neuen Skill zu erlernen und aktiv anwenden zu können. Natürlich hängt die Anzahl der Stunden vom jeweiligen Skill ab. Mitarbeitende könnten ca. 10 Stunden aufwenden, um sich einen einfachen Skill anzueignen. Für komplizierte Skills oder einen Hochschulabschluss könnten es jedoch bis zu 5.000 Stunden sein.

Wenn Unternehmen neue Upskilling- und Reskilling-Initiativen einführen, müssen sie neu bewerten, wie viel Arbeitszeit für das Lernen aufgewendet wird. Denken Sie daran, wie viel Zeit Sie persönlich für das Upskilling und Reskilling benötigen. Wenn Ihre Führungskräfte feststellen, dass zu wenig Zeit für das Lernen zur Verfügung steht, könnten sie festlegen, dass wöchentlich oder monatlich eine bestimmte Anzahl von Stunden gelernt wird, und dies für alle Mitarbeitenden im Unternehmen durchsetzen.

Mitarbeitende wollen neue Skills erwerben, doch es fehlt ihnen an Unterstützung.

Proaktive Ingenieur:innen möchten eine neue Programmiersprache erlernen, und ihr:e Manager:in empfiehlt ihnen, einen Kurs in der Inhaltsbibliothek Ihres Unternehmens zu suchen. Sie absolvieren also die beiden Python-Kurse, die sie finden konnten. Doch nach etwa 30 Stunden an Inhalten fühlen sie sich immer noch nicht sicher genug, um ein Projekt in Angriff zu nehmen, das Python-Skills erfordert.

Es ist immer das Gleiche.

Die Bezahlung von Lernressourcen ist keine Garantie für den Erfolg Ihres Unternehmens beim Upskilling und Reskilling. L&D konzentriert sich stark auf Inhalte, aber Sie können nicht erwarten, dass eine Inhaltsbibliothek den Mitarbeitenden auch die notwendige Anleitung bietet, die sie brauchen, um die richtigen Skills effektiv zu entwickeln.

Nehmen wir das obige Python-Beispiel. Das Unternehmen braucht vielleicht nicht einmal eine:n weitere:n Python-Ingenieur:in. Gartner hat herausgefunden, dass 70 Prozent der Mitarbeitenden die digitalen Skills, die sie für ihre Arbeit benötigen, nicht beherrschen. Und es ist wahrscheinlich auch so, dass dieselben Mitarbeitenden oder Manager:innen nicht unbedingt wissen, auf welche Skills sie sich konzentrieren sollten. Das Magazin Harvard Business Review bezeichnet dies als „unbewusste Inkompetenz“.

Mitarbeitende wissen nicht, was sie nicht wissen. Manager:innen und Führungskräften ergeht es nicht anders. In der Brandon Hall Group 2020 Learning Strategy Study äußerten fast alle Unternehmen (87 %) die Notwendigkeit, Lernen und Ziele aufeinander abzustimmen, aber nur 13 % sagten, sie seien auch dazu in der Lage.

Die meisten Inhaltsbibliotheken bieten nicht die erforderlichen Tools, um Skills mit den Geschäftsergebnissen abzustimmen. Selbst wenn Mitarbeitende auf wundersame Weise intuitiv zu wissen scheinen, welche Skills sie erlernen müssen, bieten die meisten Inhaltsbibliotheken nicht die richtigen Arbeitserfahrungen oder Ressourcen zum Erlernen dieser Skills. Nehmen wir noch einmal unser Python-Beispiel. Das Anschauen aller 30 Stunden Python-Videos einer Inhaltsbibliothek macht die Mitarbeitenden nicht gleich zu Expert:innen und bereitet sie auch nicht unbedingt optimal darauf vor, neue Python-Skills erfolgreich einzusetzen.

Eine Studie unter 14.000 Unternehmen ergab, dass 63 Prozent der Manager:innen nicht mit den richtigen Upskilling-Ressourcen ausgestattet sind, denn viele Bibliotheken für Lerninhalte konzentrieren sich nur auf Lernressourcen für Schulungen und das Lernen im Arbeitsalltag. Diese kurzen Lernressourcen bieten nicht die spezialisierten, tiefgreifenden Inhalte, die für ein umfassendes Upskilling notwendig sind.

Unternehmen müssen eine Skill-Infrastruktur schaffen.

Mitarbeitende brauchen Hunderte von Stunden, um ihre Skills optimal zu entwickeln. Und nicht nur das. Sie brauchen auch Fachwissen und eine Infrastruktur, die sie auf ihrer Upskillingreise begleiten. Aus diesem Grund gaben 91 Prozent der Tausenden von Mitarbeitenden und Personalverantwortlichen, die im Rahmen der Randstad Risemart Survey of Skills 2021 befragt wurden, an, dass Up- und Reskilling-Initiativen mit fachlicher Anleitung effektiver wären.

Was jedoch bedeutet eigentlich „fachkundige Anleitung“? Auf die Frage, was den Mitarbeitenden geholfen hätte, eine bessere Entscheidung darüber zu treffen, welche Kurse sie absolvieren oder welche Möglichkeiten des Erfahrungslernens am Arbeitsplatz sie nutzen sollten, waren die häufigsten Antworten der Personalverantwortlichen:

  • Assessment der Skills, Karriereinteressen und möglichen Karrierewege
  • Zugang zu einem breiten Spektrum an Lern-/Weiterbildungsmöglichkeiten, einschließlich Kursen, Zertifizierungen, akademischen Abschlüssen und Erfahrungslernen
  • Beratung zu den am besten geeigneten Up- und Reskilling-Optionen
  • Einblicke zu gefragten Skills

Sie finden sich in dieser Liste wieder? Dann sollten Sie nicht erwarten, dass die Skillentwicklung auf Ihre Unternehmensziele abgestimmt wird, wenn Sie Ihren Mitarbeitenden lediglich Zugang zu einer Bibliothek mit Lerninhalten gewähren. Für die Bewältigung Ihrer Herausforderungen beim Up- und Reskilling braucht es ein Ökosystem, in dem Fachexpert:innen und Technologielösungen zusammenarbeiten, um den richtigen Mitarbeitenden zur richtigen Zeit die richtigen Inhalte und Arbeitserfahrungen bereitzustellen.

Ihr Unternehmen kann diese Infrastruktur intern aufbauen und die Vorteile externer Programme von Drittanbietern nutzen. Dabei werden externe Programme häufig für den Lernteil der Skillentwicklung in Anspruch genommen, durch beiwpielsweise Bootcamps, Seminare und Akademien, die Teilnehmenden spezialisierte, vertiefte Inhalte, die aktive Anwendung des Skills und Feedback von Expert:innen bieten.

Unternehmen müssen ihre Mitarbeitenden auf ihrer Upskilling- und Reskillingreise begleiten.

Ein Sprichwort besagt: Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg. Mit anderen Worten, ohne Ziel ist man verloren. Verloren zu sein ist kein idealer Zustand für Unternehmen, die in einer Zeit florieren wollen, in der die Halbwertszeit von Skills nur noch drei Jahre beträgt.

Wenn Sie sich bereits auf Ihrer Upskilling- und Reskillingreise verirrt haben, sollten Sie sich einen fachkundigen Partner an Ihre Seite holen. Bei einem so komplexen und kritischen Thema wie dem Upskilling und Reskilling können Unternehmen es sich nicht leisten, ihre Mitarbeitenden einfach auf eine Inhaltsbibliothek zu verweisen und ihnen dann viel Glück zu wünschen.

Die Skillentwicklung ist die komplexeste und zeitaufwendigste Art des Lernens. Nehmen Sie sich Zeit und bieten Sie fachkundige Anleitung. Geben Sie Ihren Mitarbeitenden ausreichend Zeit, um neue Skills zu erlernen, und stellen Sie ihnen eine umfassende Lösung für die Skillentwicklung zur Verfügung.