Ein turbulentes Jahr liegt hinter uns, da wollen wir direkt nach vorne blicken und sehen, was 2023 für L&D-Teams bereithält. Nach der Achterbahnfahrt, die Arbeitgebende wie Arbeitnehmende in den vergangenen Monaten erlebt haben, passen sich viele Unternehmen wieder einmal an die Veränderungen des Status Quo an. Wie unsere Expertinnen und Experten bei Degreed und Learn In dies bewerten und welche Entwicklungen sie für 2023 erwarten, das wollen wir im Folgenden näher beleuchten.
Schlankere L&D-Strukturen mit engerem Fokus
Innerhalb von Teams stellen sich Abnutzungserscheinungen ein, Budgets werden zunehmend auf den Prüfstand gestellt – eine Entwicklung, die auch an L&D-Verantwortlichen nicht vorbeigeht. Zugleich aber auch eine Chance, Lernprozesse enger an Geschäftszielen auszurichten. Denn nicht selten erweisen sich gerade Zwangslagen als idealer Nährboden für Innovation. Hier kann sich L&D als perfekter Partner positionieren, der beim Navigieren durch wirtschaftliche Turbulenzen hilft, Experimentierfreude anstößt und pragmatische Lösungsansätze durch den Aufbau der passenden Skills unter den Beschäftigten fördert. Zudem wird der inzwischen immer schwerer durchschaubare Markt für Lerntechnologien im Zuge der aktuellen Entwicklungen eine Konsolidierung erleben.
„L&D-Teams arbeiten an der Belastungsgrenze. An allen Enden will man Lernaktivitäten und Skills gezielt an genau den Punkten ausweiten und ausbauen, wo sie das Optimum an Wirkung bringen, zugleich aber nur ein Minimum an Zeit und Geld dafür investieren“, so Todd Tauber, SVP of Strategy bei Degreed. „Auch bei unseren Kunden zeigt sich dies zunehmend: Prioritäten werden rigoros abgesteckt – nicht nur im Hinblick auf einzelne Mitarbeitende oder Rollen, sondern auch auf spezifische Fähigkeiten und sogar bestimmte Ereignisse. Mit immer weniger Mitteln muss dabei immer mehr erreicht werden. Entsprechend wichtig wird also die Skalierung von L&D-Prozessen etwa durch Peer Learning und Mentoring sowie durch eine engere Zusammenarbeit und Crowdsourcing innerhalb von Fachbereichen.“
Bei Ericsson etwa setzte man hierfür eine neue L&D-Strategie um, durch die es gelang, 14 % mehr Mitarbeitenden die fünf Skills zu vermitteln, die als kritisch für den zukünftigen Erfolg des Unternehmens identifiziert wurden (5G, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, Zusammenarbeit, Vertrieb und Automatisierung). So sind nun bei 15.000 Mitarbeitenden des Unternehmens Upskillings in diesen Bereichen im Gange – bei nur der Hälfte der Kosten für Betrieb und Verwaltung des Ökosystems hinter der dazu eingesetzten Lerntechnologie.
Das klassische Jobprofil als Auslaufmodell
Fest abgesteckte Stellenbeschreibungen oder Jobprofile werden den Anforderungen der Arbeit nicht mehr gerecht. Chronischer Fachkräftemangel bringt Arbeitgebende auf kreative Lösungsansätze, dennoch die benötigten Talente zu rekrutieren. So ist mit der sogenannten „Gig Economy“ ein Modell für Auftragsarbeit entstanden, das für Arbeitnehmende und Arbeitgebende gleichermaßen neue Chancen bereithält, zugleich aber auch die Konstellationen innerhalb von Teams verändert. HR-Verantwortliche setzen auf skillorientierte L&D-Methodiken, bei denen Mitarbeitende etwa auf Grundlage ihrer Skill-Sets und Arbeitserfahrung für Projekte eingesetzt werden. Mit dem Modell der „skillbasierten Organisation“ ist in diesem Zuge sogar ein neuer Begriff entstanden.
Geprägt wurde er vom Consulting-Unternehmen Deloitte, das dazu erläutert, dass das klassische Jobprofil zunehmend durch fließende Strukturen als Basis der Arbeitsorganisation abgelöst werde. Dies zeige sich aus Untersuchungen des Unternehmens, denen zufolge 63 % der gegenwärtig von Mitarbeitenden verrichteten Arbeit außerhalb ihrer jeweiligen Stellenbeschreibung verortet sei. Nach Aussage von 81 % der hierzu Befragten werde Arbeit zunehmend über Funktionsgrenzen hinweg erledigt. 36 % geben wiederum an, die Arbeit werde von externen Auftragnehmern übernommen, deren Aufgabenbereiche überhaupt nicht mehr fest definiert seien. So sieht Deloitte mit der skillbasierten Organisation eine neue Methodik aufkommen, nach der Arbeit als solche gesteuert und strukturiert wird.
„Wir erleben derzeit den Höhepunkt einer seit Jahren bestehenden Unzufriedenheit mit starren Jobhierarchien, innerhalb derer weder Arbeitgebende noch Einzelpersonen Arbeit flexibel an ihre Anforderungen anpassen konnten“, kommentiert Yael Kaufmann, Mitbegründerin und COO von Learn In. „Berücksichtigt man zudem, dass mehr Agilität, Inklusion und ein stärkerer Fokus auf Mitarbeitende heute immer wichtiger werden, erscheint es als recht logische Konsequenz, dass viele führende Unternehmen wie etwa Unilever oder Ericsson sich in Richtung skillbasierter Organisationsmodelle bewegen.“
Breiter gefasste Einstellungskriterien
Ganz ähnlich wie mit dem klassischen Jobprofil verhält es sich auch mit den Einschätzungen und Erwartungen dazu, wer für eine Tätigkeit oder Aufgabe qualifiziert ist. Hier beobachten wir, dass immer mehr Arbeitgebende klassischen Universitäts- und anderen Abschlüssen weniger Beachtung schenken, wenn sie für eine bestimmte Rolle nicht relevant sind – eine Entwicklung, die keinen Moment zu früh kommt.
„Boeing, IBM, Google Tata Communications, Cargill – alle diese Unternehmen finden neue Wege, wie sie die Befähigung potenzieller Mitarbeitender für eine Rolle evaluieren“, erklärt Degreed CEO David Blake hierzu. „Statt Zeugnisse und berufliche Werdegänge als Indikator dafür zu verwenden, ob Kandidaten für eine Tätigkeit geeignet und zudem auch in der Lage sind, sich in ihrer Aufgabe weiterzuentwickeln, betrachten die HR-Teams dieser Unternehmen die Skills der Kandidaten ganzheitlich. Dieser breiter gefasste Ansatz ermöglicht es Arbeitgebenden, aus einem größeren Talentpool zu schöpfen. Personalentscheidungen auf Grundlage von Skills bilden die jeweiligen Jobanforderungen präziser ab, da sie das aktuelle Kompetenzprofil von Kandidaten in den Mittelpunkt stellen und nicht das, was sie etwa vor 10 Jahren geleistet haben.“
„Vorbei sind die Zeiten, in denen Chancen zum Karriereaufstieg einzig durch Universitäts- und andere Abschlüsse bestimmt wurden“, so Blake. „Lernen und Weiterbildung sind heute stärker zielorientiert: Alle können sich schnell genau die Kenntnisse aneignen, die sie benötigen. Unternehmen wiederum sind in der Lage, ihre eigenen Programme zu geringeren Kosten zu gestalten.“
So stellte etwa Bell Canada fest, dass für seine Mitarbeitenden Reskillings in den Bereichen künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, Business Intelligence, Cybersicherheit, Softwareentwicklung und Cloud-Computing vonnöten waren. Strategisch setzte das Unternehmen hierzu auf Online-Lernen und konnte so bis dato 241 Mitarbeitende in neuen, an diesen Kontexten orientierten Rollen einsetzen. Zudem liegt der Frauenanteil bei 30 % und damit mehr als 8 % über dem Anteil der auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Kandidatinnen.
Agilität als kritische Anforderung an L&D
Angesichts einer immer weiter rückläufigen Halbwertszeit von Qualifikationen und Skills – aktuell liegt sie bei gerade noch 5 Jahren – setzen viele L&D-Verantwortliche auf agile Lernprozesse. Hierdurch soll einmal die Wettbewerbsposition gestärkt werden, außerdem ist die Fähigkeit zum schnellen Kenntnisaufbau unabdingbar, um mit internen Transformationsprozessen und neuen Marktanforderungen Schritt halten zu können.
„Damit Mitarbeitende ihr Know-how agiler aufbauen können, benötigen sie eine passende Lernumgebung, die ihnen adäquate Möglichkeiten hierzu bietet“, so Annee Bayeux, Chief Learning Strategist von Degreed. „Damit gemeint ist neben der Infrastruktur, also der Zeit und Technologie, die ihnen zum effektiven Wissensaufbau zur Verfügung steht, auch die kulturelle Komponente. Zudem wirkt sich die Lernkultur auf die Wettweberbfähigkeit und Ertragskraft aus: Beschäftigte in Unternehmen mit starker Lernkultur bestätigen mit einer 166 % höheren Wahrscheinlichkeit, dass die Umsätze ihres Unternehmens schneller steigen als bei Mitbewerbern.“
Wohlbefinden bleibt wichtiger Faktor im Arbeitskontext
Im Zuge der Corona-Pandemie haben sich die Ansprüche in diesem Zusammenhang verändert. Unternehmen berücksichtigen nun die Zielvorstellungen und Sorgen von Mitarbeitenden ganzheitlich und somit auch außerhalb ihres Arbeitsplatzes. Dieser für alle Beteiligten positive Trend dürfte sich auch in Zukunft fortsetzen.
„Das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und ihren Unternehmen erhielt durch die Pandemie eine neue Prägung, gekennzeichnet von Empathie und gegenseitiger Rücksichtnahme“, kommentiert Degreed Chief People Officer Janice Burns. „Auf Seiten der Beschäftigten erwartet man dies auch in Zukunft. Wer dies als Unternehmen nicht erfüllen kann, sieht sich mit Problematiken wie Quiet Quitting [„stille Kündigung“ bzw. Dienst nach Vorschrift] und massenhaften Kündigungen konfrontiert.“
Infolge ihrer Unzufriedenheit mit dem klassischen Modell des 8-Stunden-Arbeitstags suchen sich Arbeitnehmende Unternehmen aus, die ihre Bedürfnisse auch über das Arbeitsumfeld hinaus berücksichtigen. Als zentrale Aspekte, die Unternehmen hierfür erfüllen müssen, nennt das Weltwirtschaftsforum (WEF) in seinem Good Work Framework u. a. die Förderung von sogenannter Employability bzw. Beschäftigungsfähigkeit oder auch Arbeitsmarktfitness von Mitarbeitenden sowie einer starken Lernkultur. Der effektivste Weg dorthin liegt in einem engen Austausch mit Mitarbeitenden im Hinblick auf Lernen und Entwicklung sowie in der Förderung der beruflichen Weiterentwicklung sowohl im Einklang mit geschäftlichen Anforderungen als auch persönlichen Zielen.
Skillaufbau wird „akademisiert“
Als Mittel zur Umsetzung agiler Lernprozesse tritt mit sogenannten Mastery-based Learning Platforms eine neue Kategorie von Lernplattformen auf den Plan. Geprägt wurde der Begriff von Josh Bersin, der damit auf Capability Academies bzw. Akademien für Kompetenzentwicklung verweist. Seiner Ansicht nach gehören diese in diesem Jahr zu den absoluten Top-Instrumenten für L&D-Teams, da mit ihnen das Potenzial von Fachexpert:innen maximal skalierbar im Lernkontext erschließbar wird.
„Capability Academies bringen Corporate Learning auf ein völlig neues Level, da sie alles, was es für tiefgehende Skillentwicklung braucht, komplett zentral zusammenführen“, so Jen Collins, Director of Academy Enablement bei Learn In. „Von internen Lerninhalten und externen Programmen über Aufgabenzuweisungen, Gruppenlernen und Mentorings bis hin zu Veranstaltungen mit Fachexpertinnen und -experten, Praxiseinsätzen und mehr passen sie sich punktgenau in Geschäftsanforderungen und -ziele ein und liefern. Damit stellen sie einen enormen ROI in Aussicht und tragen zudem signifikant zum Unternehmenserfolg bei.“
L&D so datengesteuert wie nie zuvor
Infolge der mit der Pandemie einhergehenden Umstellung auf Hybrid- und Remote-Arbeitsmodelle haben digitale Tools in erheblichem Maße Einzug in die Arbeitsumgebungen von heute gehalten. Entsprechend stark hat auch die Nutzung virtueller Lernplattformen und damit auch die Menge an lern- und skillbezogenen Daten zugenommen, die verfügbar werden. Für L&D-Verantwortliche entstehen dadurch nie dagewesene Chancen, von diesem Jahr ab komplett datengesteuert zu agieren.
Entsprechende Daten aus Ihren HR-, Talentakquise und Lernsystemen lassen sich in einer dynamischen Echtzeit-Sicht dazu zusammenführen, über welche Skills Mitarbeitende verfügen und welche sie aktuell erlernen. So können Sie direkt feststellen, ob alle Teams optimal auf zukünftige Ziele hinarbeiten, und zudem Skill-Gaps proaktiv angehen. Unterstützend kommt hier der enorme Trend in Richtung skillbasierter Talententwicklung hinzu, in dessen Zuge Skilltaxonomien bzw. „allgemeingültige Konzepte zur Skillbestimmung“, wie das Weltwirtschaftsforum sie nennt, enormen Auftrieb erfahren.
Branchen-Akteure wie Degreed arbeiten derzeit gemeinsam mit dem Weltwirtschaftsforum daran, eine allgemeingültige Skilltaxonomie zu etablieren, die Unternehmen die Zusammenarbeit bei der Integration der Technologien verschiedener Anbieter erleichtert und dabei auch Konsistenz gewährleistet.
„Eine Skilltaxonomie bildet eine zentrale Kernsäule nicht nur zur Umsetzung sämtlicher skillbasierten und datengestützten L&D-Initiativen, sondern auch für alle anderen HR-bezogenen Unternehmensprozesse“, so Kelly Palmer, Chief Learning & Talent Officer von Degreed. „Angesichts der enormen Menge an Daten, die heute zur Verfügung stehen, braucht es ein allgemeingültiges Konzept rund um Skilldaten. Denn nur so können sie auch zielführend zu Entscheidungen im Kontext von Talentakquise, Lernerlebnis, Upskilling, Performance-Management, Onboarding und anderen wichtigen Prozessen beitragen.“
Ihre Teams: Ihr Erfolgsgarant für 2023
Überraschungen hält die Welt zwar bekanntlich immer bereit. Doch eines ist auch in diesem Jahr sicher: Ihre Mitarbeitenden spielen die zentrale Rolle dabei, wie Ihr Unternehmen Herausforderungen meistert. Gehen Sie ihnen mit den passenden Skills und Karrierechancen also auch genau das an die Hand, was sie von Ihnen dafür erwarten.
Mit einer Kultur, die eine ansprechende Arbeitsumgebung mit einer herausragenden Employee Experience vereint, bringen Sie Ihre Teams voran – und damit auch Ihr Unternehmen.